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Stolz sitzt sie da, das Haupt erhoben. Auf ihrer Stirn klebt eine Schutzbrille, die das rote Haar bändigt. Ihre Lippen sind dezent geschminkt. Doch trotz allem könnte man sie fast für einen Mann halten. Ihr Körper ist ein vor Kraft strotzendes Muskelpaket, das in einem Blaumann steckt. Auf ihrem Schoß liegt eine monströse Nietpistole. Ganz offensichtlich arbeitet sie in einer Fabrik und hat gerade Frühstückspause. In ihrer linken Hand hält sie ein Sandwich, ihre rechte ruht auf einer Brotdose, die ihren Namen verrät: Rosie.
Rosie, die am 29. Mai 1943 das Titelblatt der "Saturday Evening Post" zierte, sorgte landesweit für Aufregung. Eine Frau in einem Männerjob? Das passte so gar nicht in das Rollenverständnis der Amerikaner. Frauen gehörten nach Hause an den Herd, nicht in die Fabrik. Doch Rosie belehrte sie eines Besseren. Ihr Fuß ruht auf einer Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Die Botschaft ist klar: Wenn wir unser Rollenbild nicht über Bord werfen, werden wir Nazi-Deutschland nie besiegen. In der Rüstungsindustrie wird jede helfende Hand gebraucht!
Normann Rockwell, der damals zu einem der bekanntesten Illustratoren in den USA gehörte, hatte eine nationale Ikone geschaffen. "Rosie the Riveter" - Rosie die Nieterin - kannte die Nation zwar schon aus einem Lied, das seit Anfang 1943 auf allen Radiosendern lief. Es beschrieb das Leben einer fleißigen Fabrikarbeiterin, die ihr Leben der Kriegsproduktion gewidmet hatte. Doch Rockwell war es, der ihr ein Gesicht gab und sie zu einer kraftvollen Heldin an der Heimatfront stilisierte, mit der sich die arbeitenden Frauen identifizieren konnten.
Groß angelegte Propaganda-Kampagne
Rockwell kreierte Rosie nicht nur aus Bewunderung für diese Frauen - sein Werk war auch Teil einer großen Propagandakampagne: Bereits 1942 zeichnete sich ab, dass es nicht genug Männer gab, um die Kriegsproduktion zu bewältigen. Die Wirtschaft brauchte zwei Millionen zusätzliche Arbeiter. Arbeiterinnen waren die einzige Möglichkeit, diesen ungeheuren Bedarf zu decken. Doch weder Unternehmer noch Frauen konnten sich mit diesem Gedanken anfreunden, zu tief verwurzelt war das traditionelle Rollenverständnis.
Um die Frauen trotzdem an die Werkbank zu bekommen, startete die US-Regierungsbehörde OWI (das "Office of War Information") 1942 die breit angelegte Kampagne "Women in War-Jobs". Sie stellte die Arbeit in den Fabriken nicht als Tabubruch, sondern als nationale Pflicht dar. Slogans wie "Je mehr Frauen arbeiten, desto schneller gewinnen wir!" oder "Es gibt viel Arbeit und einen Krieg zu gewinnen" sollten die Bedenken der Frauen zerstreuen.
Andere Anzeigen waren darauf ausgerichtet, Sorgen und Ängste aus der Welt zu schaffen. Viele Frauen befürchteten beispielsweise, ihre Männer könnten etwas dagegen haben, wenn sie den Blaumann anlegen. Also wurde 1944 eine Anzeige folgenden Inhalts geschaltet: "Ich bin stolz mein Mann will, dass ich meinen Teil beitrage." Andere trauten sich einen Job in den Fabriken schlicht nicht zu. Auch diese Bedenken wurden ausgeräumt: "Können Sie einen elektrischen Mixer bedienen? Dann können Sie auch lernen, mit einem Bohrer umzugehen."
Fabrikarbeiterinnen? Hübsch, verführerisch, stilvoll!
In sämtlichen Magazinen - darunter "National Geographic", "Fortune" und "Life" - erschienen darüber hinaus regelmäßig vom OWI gesteuerte Geschichten über Fabrikarbeiterinnen. Sie priesen die grandiose Leistung und ihre Fähigkeiten. Dazu gab es haufenweise Fotos junger Damen, die mit rot lackierten Fingernägeln und frisch ondulierten Haaren Bohrer oder Nietpistolen schwingen. Bewusst wurden sie als hübsch, verführerisch und stilvoll dargestellt. Den Frauen sollte die Angst vor den schmutzigen "Blaumann-Jobs" genommen werden.
Fotostrecke
Weltkriegs-Propaganda: Glamour in den Fabriken
Mit der Realität hatte das allerdings nicht viel zu tun. Die wahren Rosies sicherten ihr Haar unter bunten Tüchern, die sie auf dem Kopf verknoteten, sie trugen bei der Arbeit Handschuhe und kamen schmutzig und verschwitzt nach Hause. Kein Wunder: Sie standen stundenlang mitten in den Skeletten der Flugzeuge oder Schiffrümpfe und bohrten unter Getöse Löcher in Stahl, nieteten oder schweißten Metallteile zusammen.
Vielen tönte noch nach der Arbeit das ständige Hämmern, Pfeifen und Zischen in den Ohren. "Meiner Mutter setzte der Lärm unglaublich zu. Sie kam jeden Tag mit Kopfschmerzen nach Hause", erzählt Sam Sagmiller, Sohn einer Rosie, in den Erinnerungen an seine Mutter. Die Schweißerinnen wiederum hatten andere Probleme: "Meine Augen litten unter dem ständigen Rauch und den Funken", erinnert sich Helyn Potter. "Ich gab deshalb das Schweißen auf und arbeitete als Nieterin." Die Schweißerin Susan Page wurde sogar mehrere Male so stark geblendet, dass sie für Stunden erblindete - aber: "Trotzdem liebte ich es. Endlich konnte ich etwas tun, das meinen Bruder und die Anderen heimholen würde."
Die "echten" Rosies
Die Kampagne war ein voller Erfolg. In den Fabriken zu arbeiten, war kein Makel mehr. Die Frauen waren stolz, zu den "Rosies" zu gehören. Innerhalb weniger Monate waren die zwei Millionen fehlenden Arbeiterinnen rekrutiert. Insgesamt legte die Zahl der Frauen mit Jobs in den Kriegsjahren um 50 Prozent zu. Es war allerdings nicht nur der Patriotismus, der sie an die Werkbank trieb, sondern auch das Geld. Sie bekamen im Schnitt 32 Doller pro Woche. Das war zwar immer noch weniger als man Männern zahlte, aber deutlich mehr, als eine Verkäuferin verdiente. Und einige von ihnen wurden dabei sogar berühmt.
Mit der Zeit gruben die Medien eine "echte Rosie" nach der anderen aus. Die berühmteste unter ihnen war Rose Will Monroe. Der Schauspieler Walter Pidgeon hatte die junge, dunkelblonde Frau in einem Ford-Werk in Ypsilanti in Michigan entdeckt, wo sie Flugzeuge zusammennietete. Monroe passte perfekt ins Bild: Sie war jung, hübsch, Nieterin - und hieß Rose. Er drehte einen Propagandafilm für Kriegsanleihen mit ihr. Monatelang war sie in den Kinos zu sehen, weshalb viele ihr Gesicht mit Rosie the Riveter verbanden.
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Nach dem Krieg taten sich vielen Rosies schwer, in ihr altes, häusliches Leben zurückzukehren. "Die Frauen merkten, dass sie mehr aus sich machen konnten", erinnert sich Sybil Lewis, die in Burbank als Nieterin beim Flugzeughersteller Lockheed gearbeitet hatte und ebenfalls keine Lust hatte, ihre neu gewonnen Freiheiten aufzugeben. Und Inez Sauer, die bei Boeing arbeitete, resümierte: "Ich fand bei Boeing eine ungekannte Freiheit und Unabhängigkeit. Der Krieg veränderte mein Leben. Ich wollte nicht mehr nur Hausfrau sein."
Trotzdem räumten die Frauen nach dem Krieg das Feld. Auch das verstanden sie als ihre patriotische Pflicht. Sie wollten den Männern, die aus dem Krieg heimgekehrt waren, nicht die Jobs wegnehmen. Obwohl die Frauen ihre Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatten, ließ die Emanzipation noch Jahrzehnte auf sich warten. Der Mythos Rosie the Riveter jedoch lebt bis heute weiter, als Symbol für starke Frauen und den Feminismus.